Das Problem beschäftigt die globale Werbeindustrie seit dem Beginn der industriellen Produktion: „Half the money I spend on advertising is wasted; the trouble is, I don’t know which half.” (John Wannamaker, 1838-1922). Ein Blick auf den Digitalen Schweizer Werbemarkt zeigt die Aktualität dieses Dilemmas bis heute: Nur jeder zweite ausgesteuerte – und damit bezahlte – Werbemittelsichtkontakt kann von den Konsumenten überhaupt gesehen werden. Denn die andere Hälfte ist in einem unsichtbaren Bereich der Webseite oder Mobile App angebracht, der sich neben oder unterhalb des auf dem Bildschirm angezeigten Inhalts befindet. Seitdem gemessen werden kann, ob eine Werbeplatzierung sichtbar ist oder wirkungslos verpufft, ist die Zahl der Advertiser, welche nicht länger für nachweislich unsichtbare Werbung zu bezahlen bereit sind, sprunghaft angewachsen.
Das Chaos ordnen
Der Ausdruck „Ad Viewability“ lässt Linguisten noch immer erschaudern. Denn obschon die Sichtbarkeit von Werbung korrekterweise mit „Ad Visibility“ bezeichnet werden müsste, hat sich in der Szene ersterer Begriff durchgesetzt. Die Messung dieser Sichtbarkeit wird dann als Viewability-Tracking oder -Measurement bezeichnet und hat sich in den letzten 30 Monaten zu einem Standard im Digital Advertising entwickelt.
Laut den „IAB Ad Impression Measurement Guidelines“ wird eine Ad Impression dann als sichtbar („viewable“) gewertet, wenn mindestens 50 Prozent ihrer Fläche während mehr als einer Sekunde auf dem Bildschirm angezeigt wurde.
Nun liegt es im Interesse des Werbetreibenden, entweder ausschliesslich für sichtbare Ad Impressions zu bezahlen oder mit seiner Kampagne zumindest eine möglichst hohe Rate an Sichtbarkeit zu erreichen. In diesem Artikel wird deshalb beschrieben, wie Sichtbarkeit gemessen und mit Hilfe von Machine Learning-Methoden kontrolliert werden kann. Weil Webbesuche in der Schweiz mehr als drei Mal häufiger über Smartphones und Tablets, als PCs und Laptops erfolgen (Quelle: NET-Metrix), wird dieses Vorgehen anhand von Mobile Advertising erläutert.
Wie gemessen wird
Die Sichtbarkeit wird innerhalb der Ad Unit als Teil des JavaScript-Codes bestimmt. Dieser Code beantwortet zunächst die Frage, ob eine Messung überhaupt möglich ist, und falls ja, ob die Werbeanzeige sichtbar ist. Weil hierbei unterschiedliche Schnittstellen verwendet werden können, hängt die Art der Messung stark von der Umgebung ab, in der die Werbung ausgesteuert wird. So unterscheidet sich die Messung in Abhängigkeit davon, ob das Werbemittel innerhalb einer App oder einer mobilen Website angezeigt wird resp. ob dieser Vorgang auf einem iOS oder Android-Gerät erfolgt.
inApp-Measurement
Innerhalb von Apps wird zunächst überprüft, ob die MRAID-Schnittstelle zur Verfügung steht. MRAID schlägt eine Brücke zwischen den nativen Komponenten einer App und der JavaScript-Umgebung. Falls MRAID verfügbar ist, kann der Aufruf
verwendet werden, um eine Aussage zu treffen, ob die Ad Unit gerade sichtbar ist oder nicht. Darüber hinaus ist von Interesse, wie lange ein Werbemittelkontakt sichtbar war. Anstatt obige Funktion alle paar Millisekunden aufzurufen, was eine unnötige Last produzieren würde, wird hierfür das „Viewability Change“-Event verwendet:
MRAID ist als Standard von allen relevanten Schweizer Publishern implementiert. Würde MRAID nicht zur Verfügung stehen, könnte die Sichtbarkeit innerhalb von Apps nicht gemessen werden.
Mobile Web
In mobilen Webseiten existiert eine grössere Vielfalt verschiedener Umgebungen. Safari und Chrome, die beiden meist genutzten mobilen Browser, unterstützen unterschiedliche Möglichkeiten in Bezug auf Viewability Measurement. Ausserdem besteht ein Unterschied zwischen „friendly“ und „unfriendly“ iframes. Je nach Umgebung müssen deshalb unterschiedliche Methoden zur Messung verwendet werden.
- a) Intersection Observer
Die einfachste und zuverlässigste Methode besteht in der Verwendung der „IntersectionObserver„-Schnittstelle. Sie wird in Chrome seit Version 51 und in Safari seit Version 12.2 unterstützt. Dazu wird folgender Code verwendet:
- Safari Paining Verhalten
Falls obige API nicht vorhanden ist, müssen andere Methoden angewendet werden. In einem aktuellen Safari-Browser innerhalb eines unfriendly iframes kann dazu ein Optimierungsmechanismus von Safari verwendet werden. Dieser verhindert, dass sich ausserhalb des Viewports befindende Inhalte gerendert werden. Damit kann also ein einzelnes Pixel in die Ad Unit platziert und damit anschliessend überprüft werden, ob dieses Pixel gerendert wurde oder nicht. Hieraus lässt sich schliessen, ob die Ad Impression sichtbar war.
- Scrolling
Falls keine dieser Methoden für Viewability Tracking anwendbar ist, muss die Browser-API zum Beobachten des Scrollens verwendet werden. Damit kann die Position des sichtbaren Bereichs einer Webseite von Hand ausgerechnet werden. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Ad Unit im Topframe der Seite resp. einem friendly iframe ausgespielt wird. Weil die Scrolling-Methode im Vergleich zu den anderen relativ rechenintensiv ist, wird deren Anwendung in der Praxis möglichst vermieden.
Durch Kombination dieser Methoden ist es möglich, Viewability Rates von mehr als 95 Prozent aller Ad Impressions zu tracken. Für alle nicht messbaren Werbeaussteuerungen wird als konservative Annahme eine Wertung als nicht sichtbar empfohlen.
Die Bedeutung von Viewability in der Kampagnenaussteuerung
Nachdem für jede Ad Impression die Information bereitgestellt wurde, ob a) deren Sichtbarkeit messbar, und b) sie tatsächlich sichtbar war, kann dieses Wissen gezielt dazu eingesetzt werden, um sichtbare Werbemittelsichtkontakte zu einem ganz bestimmten Preis einzukaufen. Damit ist die vollständige Kontrolle über die Aussteuerung von sichtbaren Ad Impressions gegeben. Neben dem konventionellen Einkauf auf Basis eines Tausendkontaktpreises (Cost per Mille, CPM) kann als Buying Model jetzt vCPM gewählt werden (viewable CPM), womit dem Werbetreibenden eine 100-prozentige Sichtbarkeit seiner Kampagne garantiert wird.
Da der programmatische Handel in Form von Auktionen stattfindet, steht die Demand Side Platform vor der Herausforderung, für jede angebotene Ad Impression einen konkreten monetären Wert festzulegen. Hier bestehen oftmals auch bei den Werbetreibenden selber Vorstellung darüber, was eine sichtbare Ad Impression kosten sollte.
Ist Sichtbarkeit ein primärer Kampagnen-KPI, könnte man nun einfach den durchschnittlichen Anteil an sichtbar angebotenen Ad Impressions als Faktor auf diesen Wert multiplizieren. Dies ignoriert aber etwaige Unterschiede zwischen einzelnen Webseiten oder Platzierungen. Alternativ könnte man nur auf Webseiten bieten, die in der Vergangenheit eine hohe Viewability Rate lieferten. Dies verlangt aber grossen manuellen Aufwand sowie eine hohe Zahl an Geboten auf dieses Inventar. Als Konsequenz würde damit der Preis in die Höhe getrieben. Zudem ignorierte ein solcher Ansatz viele weitere Faktoren, die ebenfalls einen Einfluss auf die Sichtbarkeit haben könnten, beispielsweise die Grösse des Bildschirmes, die individuelle Geschwindigkeit, mit der User durch den Content scrollen oder die eigentliche Platzierung innerhalb der Webseite. Daher bietet es sich an, mit Hilfe von Machine Learning-Methoden jeder angebotenen Ad Impression eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen, mit derer sie gemäss eingangs genannter Definition sichtbar sein wird.
Model Training
Als Inputs für Machine Learning-Modelle können beliebige digitalen Signale verwendet werden. Da die Viewability Rate in nahezu 100 Prozent der Fälle gemessen werden kann, wird deren Wert primär von Faktoren wie der Traffic Source, der Grösse der Ad Unit oder der Position innerhalb des Contents beeinflusst. Basierend auf historischen Daten kann nun ein Ground Truth-Datensatz für das Training generiert und als Modell jede Form von Supervised Klassifikatoren verwendet werden. Nach dem erfolgreichen Training sollte die Information der Ausgabe des Modells als Wahrscheinlichkeit für Ad Viewability interpretiert werden können.
Anwendung in der Praxis
Dieses Modell kann nun für den Echtzeitbietprozess eingesetzt werden. Für jede Ad Impression kann damit die Wahrscheinlichkeit bestimmt werden, mit der diese sichtbar sein wird. Damit kann natürlich auch der Gebotspreis skaliert werden. Hat eine sichtbare Ad Impression beispielsweise einen Gegenwert von einem Cent und eine angebotene Ad Impression eine Sichtbarkeitswahrscheinlichkeit von 50 Prozent, so sollte ein halber Cent geboten werden. Aus zwei eingekauften Ad Impressions zu diesem Preis resultiert dann eine sichtbare Ad Impression zum Preis von einem Cent.
Hierbei gibt es zwei bemerkenswerte Aspekte: Zum einen garantiert dieser Ansatz nicht, dass sichtbare Ad Impressions zum geringstmöglichen Preis eingekauft werden. Dies muss mit einem anderen Mechanismus angegangen werden. Er garantiert lediglich, dass die sichtbaren Ad Impressions zu einem festgelegten Preis gekauft werden. Und zweitens garantiert dieser Ansatz auch nicht eine besonders hohe Sichtbarkeitsrate. Denn es macht zunächst keinen Unterschied, ob viele Ad Impressionen mit einer geringen Viewability Rate oder wenige mit einer hohen Sichtbarkeit eingekauft werden.
Überwachung
Ein Monitoring setzt voraus, dass das Modell als Ausgabe einen Wahrscheinlichkeitswert produziert. Beträgt dieser Ausgabewert beispielsweise 0.5, sollten tatsächlich die Hälfte aller Ad Impressions sichtbar sein. Viele Machine Learning-Bibliotheken bieten diese Möglichkeit zwar an, dennoch können verschiedene Aspekte innerhalb der Datenbeschaffenheit sowie des Modells zu Problemen führen. Aus diesem Grund muss das Modell überwacht werden. Zum Beispiel mit folgendem Graphen:
Hier ist auf der Abszisse die Ausgabe des Modells aufgetragen, auf der Ordinate der entsprechende, tatsächliche Anteil an sichtbaren Ad Impressions. Wenn das Modell eine korrekte Wahrscheinlichkeit vorhersagt, sollten alle Datenpunkte auf der Diagonalen x = y liegen. Dies im Rahmen ihrer Unsicherheit, welche aus der inhärenten stochastischen Natur der zugrundeliegenden Zahlen stammt. Basierend auf Graphen wie diesem kann die Qualität der Auslieferung überwacht und sofort beurteilt werden. Wie zu sehen ist, muss diese Leistung nicht perfekt sein, aber gut genug, um den Anforderungen des Ansatzes zu entsprechen.
Steigende Effizienz dank Viewability
Mit Methodologien wie den Beschriebenen ist es möglich, dem immer lauter werdenden Ruf des Marktes nach sichtbaren Ad Impressions nachzukommen. Dieser Wunsch ist verständlich, denn unsichtbare Werbung wird nie einen Effekt erzielen. Die Diskussion beschränkt sich aber ausschliesslich auf digitale Kanäle, denn in klassischen Gattungen wir Print oder TV ist eine direkte Sichtbarkeitsmessung nicht möglich.
Viewability Measurement hat sich für Advertiser als grossen Segen erwiesen, weil sich Werbeinventar damit auch qualitativ bewerten lässt, mit entsprechender Technologie auch vor dem Einkauf. Entsprechend stark wächst gegenwärtig die Nachfrage nach auf vCPM basierenden Einkaufsmodellen. Damit leistet die Messung von Ad Viewability und deren Verbesserung einen wichtigen Beitrag zum anhaltend schnellen Wachstum digitaler Medien – auf Kosten klassischer Kanäle.
Autor:
Dr. Bastian Kronenbitter, Team Lead Data Science
Adello, Firmenmitglied IAB Switzerland