Fachbeitrag
Oft wird gesagt, B2B sei ganz anders als B2C – das mag Prozessual sicherlich stimmen, aber nicht auf menschlicher Ebene. Getrieben vom bequemen, medienbruchfreien B2C-Kauferlebnis wächst auch der Anspruch der B2B-Einkäufer. Je nach Branche ergeben sich daraus für Hersteller und Handel unterschiedliche Chancen & Risiken einer rechtzeitigen bzw. verschlafenen B2B-Marktplatzstrategie: diese nutzt nun ein Marktführer aus Seattle.
Es war nur eine Frage der Zeit: Amazon möchte mehr sein, als nur Marktplatz für B2C und Anbieter von skalierbaren Cloudlösungen. Bereits durch die Programme von FBA (Fulfilment by Amazon) und FBM (Fulfillment bei Merchant) mit den Deals von Tegut in Deutschland und Souq.com im arabischen Raum will Amazon eine nahtlose, Grenzen überschreitende Marktstellung erreichen. Fast im Stillen hat sich Amazon Business gemausert von der „Supply Plattform“ zum spannenden B2B Marktplatz für gewerbliche Kunden auf Amazon. Denn Unternehmen jeder Grösse können sich kostenlos registrieren, um Zeit und Geld beim gewerblichen Einkauf zu sparen, aber auch um neue Geschäftskunden zu erreichen. Amazon Business startete bereits im April 2015 in den USA und bedient heute mehr als 400.000 Unternehmen. Im ersten Jahr hat Amazon Business dort über eine Milliarde US-Dollar Umsatz gemacht. Inzwischen verkaufen mehr als 45’000 Händler über Amazon Business. Das ist allerdings erst der Anfang. Nach Expertenschätzungen erreicht der B2B Online-Markt im Jahr 2020 ein Volumen von 6.700 Mrd. USD. Zu diesem Zeitpunkt wird der B2B-Markt damit mehr als die doppelte Grösse des Online-B2C-Marktes (3.200 Mrd. USD in 2020) haben. Aber nicht nur das Marktvolumen ist hoch attraktiv, auch die zu erwartende Wachstumsdynamik: Denn im Vergleich zu einem Online-Anteil von ca. 8 % im B2C, liegt der Online-Anteil im B2B-Markt aktuell nur bei ca. 2%. Das verspricht eine dynamische, anhaltende Kanalverschiebung von Offline zu Online und stellt damit die erste Komponente eines „BIG SHIFT zu Omnichannel“ im B2B-Markt.
An diesem Beispiel zeigt sich, woran der E-Commerce hierzulande noch hinterherhinkt: Bisher sind der europäische und auch schweizerische B2B Online-Markt zu stark fragmentiert und bestehen weitestgehend aus Nischenanbietern mit vielen Online-Listen und Branchenverzeichnissen. Zudem gibt es vereinzelte Insider Marktplätze, welche aber weit entfernt sind von einem Beispiel à la Amazon. Wirklich verbindende Marktplätze, von ein paar Einkaufsgemeinschaften abgesehen und einem durchlässigen Ökosystem – fehlen für B2B immer noch. Man sieht, dass Siroop Ansätze und Potential hat, aber ob sie sich gegen die Macht aus Übersee – West und Ost – durchsetzen mögen, ist derzeit noch mehr als offen. Überhaupt zeigen die Akteure gerade im B2B-Handel Defizite bei der Digitalisierung; häufig fehlt eine systematische Digitalisierungsstrategie und zwar branchenübergreifend. Das ist fatal, denn Amazon nimmt nutzt diese Gunst der Stunde: Amazon überträgt weite Teile seiner bewährten B2C-Funktionalität auf seine B2B-Plattform und bettet die B2B-Struktur vollständig in das bestehende Amazon Ökosystem ein. Die drei Hauptgründe für Online-Einkäufe sind auch bei B2B eine verbesserte Usability, eine breitere Produktauswahl und geringere Kosten. Dass B2B-Einkäufer zunehmend B2C-Ansprüche an ihr „digitales Einkaufserlebnis“ stellen, ist wenig überraschend. Aus Usability-Perspektive geht es um „Business-to-People“, das heisst es sind in beiden Fällen dieselben Menschen, egal, ob sie gerade privat shoppen oder für ihr Geschäft einkaufen und verkaufen. Entsprechend ähnlich sind auch die Ansprüche ans digitale Einkaufserlebnis. Und fast noch wichtiger: ein Marktplatz wie Amazon hilft Händlern zusätzlich, neue Märkte oder Kunden zu erreichen durch gebündeltes Marketing und vereinfachte Prozesse – das könnten die Händler zwar auch, aber es braucht eine geeinte Kraft.
Basierend auf der klassischen digitalen Wertschöpfungskette wissen wir, dass vor allem Geschäftsmodelle erfolgreich sind, welche die Käufer- und Verkäuferbedürfnisse bestmöglich und gleichzeitig befriedigen können. So werben Marktplatz-Betreiber gegenüber Käufern vor allem mit erhöhter Markttransparenz und einer besseren Usability und schnellem Service. Die strategische Herausforderung für KMUs ist es, das Online-Geschäft neben dem eigenen, kostenintensiven Direktvertrieb und dem kapitalintensiven Niederlassungsgeschäft zu positionieren. Durch den Zusammenschluss der kleinen Händler zu einem starken Verbund ist ein konzentriertes Marketing möglich und auch kleinere Händler haben eine gute Chance, am E-Commerce teilzuhaben. Dafür müssen sich allerdings Unternehmen in Branchen oder thematisch zusammenschliessen und gemeinsam einen E-Commerce Marktplatz betreiben. Der Vorteil liegt auf der Hand: mit geteilten Kosten und kombinierter Reichweite, können alle im Netz sichtbarer werden und müssen gleichzeitig die Kosten für ihren professionellen Werbeauftritt nicht alleine stemmen – somit profitieren alle gleichermassen, am Ende die ganze Volkswirtschaft.
Autor: Roger Basler, Analytics Agentur Winterthur